Nach dem Schluss­pfiff stand das ganze Sta­dion noch ein letztes Mal für den Natio­nal­spieler Lukas Podolski auf. Applaus, köl­sches Liedgut, ein knud­de­liger Haupt­dar­steller, der Mühe hatte, seine Tränen zu ver­bergen. Und wäh­rend Fuß­ball­deutsch­land kol­lektiv sein liebstes Mas­kott­chen umarmte, stand Thomas Müller am Sei­ten­rand und sagte: Also das war mir dann doch ein biss­chen zu kiti­schig!“ Was als Affront gegen den schei­denden Kon­kur­renten gewertet werden könnte, war aber viel mehr. Es war schlichtweg die Wahr­heit.

Hol­ly­wood hat ange­rufen

Denn nur 30 Minuten zuvor hatte Podolski seine große Abschieds­show höchst­selbst in ein Hol­ly­wood­mär­chen ver­wan­delt. Mit einem Tor, in dem sich all jene kind­liche Nai­vität zu bün­deln schien, die Prinz Peng wäh­rend seiner Zeit als Natio­nal­spieler stets vor­ge­lebt hat.

Als Toni Kroos den Ball aus dem Mit­tel­feld durch­steckte, André Schürrle ihn aus der Dre­hung ablegte und Podolski den Ball mit rechts mehr so mit­tel­mäßig annahm, schien die Aktion für einen Atemzug ver­raucht. Doch irgendwo da oben muss der Fuß­ball­gott vom Sofa hoch­ge­schnellt sein, um hastig die Pau­se­taste zu drü­cken. Nein, mit so einem stink­lang­wei­ligen Spiel kann man den Li-La-Lau­nebär Podolski kei­nes­falls in die Rente schi­cken, mag er sich gedacht haben.

Und so kramte er in altem Archiv­ma­te­rial und fand ver­wa­ckelte Auf­nahmen aus Berg­heim, auf denen ein kleines Ein­wan­de­rer­kind namens Lukas auf dem Bolz­platz gegen den Ball tritt. Annahme rechts, Schuss mit links, Voll­spann, volles Risiko. Immer und immer wieder. Die Bälle flogen erst in die Nach­bar­gärten, dann in den Fang­zaun, später an die Latte und immer öfter ins Netz. Tschk. Dieses Geräusch des ein­schla­genden Balles schwebte über Berg­heim, später über das Geiß­bock­heim, die Säbener Straße, eben überall dort, wo Lukas Podolski wäh­rend seiner Kar­riere nim­mer­müde an seiner linken Klebe feilte. Ganz so als ahne er, was da noch so kommen mag.

Eine Mil­li­se­kunde für die Ewig­keit

Play: West­fa­len­sta­dion, 69. Minute, der Ball springt von Podol­skis rechtem auf den linken Fuß. Er drückt in leicht nach unten links, viel­leicht einen Meter, fixiert die Kugel mit den Augen und zieht durch. Einer wie er, der circa zwei Mil­lionen Mal mit links auf das Tor gena­gelt hat, weiß, wenn er einen Voll­treffer gelandet hat. Und so kann man erstaun­li­ches beob­achten: Wäh­rend der Ball in Top­speed in Rich­tung Tor schep­pert, hüpft Lukas Podolski kurz vor Freude in die Luft. Viel­leicht weil er nicht glauben kann, dass ihm hier, heute, jetzt noch mal so ein Ding vom Spann knallt. Viel­leicht weil er weiß, was gleich pas­sieren wird. Pas­sieren muss. Weil sein Film noch nicht zu Ende ist.

Mil­li­sen­kunden später hängt der Ball tat­säch­lich im Giebel wie ein Kunst­werk. Das letzte Abend­mahl, Mona Lisa, Poldis letzter Knaller.

Das Ste­chen im Herz

Podolski dreht ab – und das ist durchaus im wört­li­chen Sinne zu sehen. Denn auf den ersten zwei Metern seines Jubels rea­li­siert er, dass er sich da gerade ein Denkmal gesetzt hat. Eines das für ewig bleibt. Auf das keine Tauben scheißen oder Voll­idioten pin­keln können. Ein Denkmal, zu dem jeder Fan seine ganz eigene Geschichte hat. Und wie er sich da so beim Jubel hinter seinen eigenen Händen ver­steckte und in die Ekstase von Dort­mund abtauchte, konnte man für einen ganz kurzen Moment ein Ste­chen im Herzen spüren. Weil man bemerkte, dass mit Poldis Abschied irgendwie auch ein eigener Lebens­ab­schnitt zu Ende geht. Der letzte Schultag, der letzte Kuss mit der Liebe deines Lebens, Poldis letzter Knaller. So was kommt nie wieder. Dass selbst Eng­lands Keeper Joe Hart nach dem Tor Podolski gra­tu­lierte, ist da nur noch eine Rand­notiz.

Auf meinen linken Fuß konnte ich mich immer ver­lassen“, sagte Podolski im Anschluss an das Spiel. Er hat Recht. Zum Glück.

Doch wir haben ein Pro­blem: Auf was können wir uns jetzt noch ver­lassen?

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